Das alte Röhrenradio

Küchenradio, das wäre bei diesem Prachtexemplar eine schamlose Unterreibung. Mit Stereoton und stattlichen Abmessungen ist das NORDMENDE PARSIFAL noch immer ein Schmuckstück in jedem Wohnumfeld. Vom raumfüllenden Wohlklang ganz zu schweigen.

Zunächst die gute Nachricht: Das Überleben des analogen Dampfradios ist auf unbestimmte Zeit gesichert. Zunächst war geplant, ab 2015 bundesweit auf digitalen Radioempfang umzuschalten. Damit wären sämtliche Analoggeräte aus dem Rennen gewesen. Dieses Technologiediktat ist nun vom Tisch und ohne Zeitvorgabe verschoben. Demnach darf auch in den nächsten Jahren behutsam an der Zimmerantenne gerückt und feinfühlig am Drehkondensator gekurbelt werden.

Den höchsten Erlebniswert in Sachen Wellenreiten bietet fraglos ein Röhrenradio aus den 50er oder 60er Jahren. Wie etwa unser Nordmende Parsifal von 1966. Es markiert den Endpunkt des Röhrenzeitalters und verabschiedet sich mit sachlich-nüchternem Skandinavien-Gehäusedesign auffällig vom biederen Gelsenkirchener Barock der 50er Jahre-Geräte.
Das sorgsam gefertigte Sperrholzgehäuse ist nach heutigen Gesichtspunkten der audiophilen Szene im Höchstmaße highendig, zumal das zeittypische Nussbaumfurnier noch echtes Holzfurnier ist. Das Betrachterauge wird noch nicht mit der ab den siebziger Jahren aufkommenden Holzimitat-Dekorfolien belogen. Dreimal auf Holz geklopft, so ein Gehäuse besteht auch die sensorische Prüfung der darüber gleitenden Fingerkuppen und will gelegentlich mit etwas Möbelpolitur belohnt werden.

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In Radioskalen steckt immer auch ein gutes Stück Zeitgeschichte

Typisch für ein Röhrengerät ist der hohe Aufbau. Den braucht es zum einen für die Unterbringung der in der Frontplatte oberhalb der großen Skala installierten Lautsprecher. Zum andern macht die unvermeidbare Wärmeentwicklung der Röhren ein stattliches Luftvolumen erforderlich. Wird das nicht beachtet, dunkelt das Holz auf der Oberseite in den Hitzefeldern recht schnell. Beim Parsifal stimmt nicht nur das Volumen. Die obere Hälfte des Gehäuses ist mit zweigeteilter Alufolie ausgekleidet. Zum einen stellt das die integrierte UKW-Antenne, zum anderen einen probaten Hitzeschutz dar. Die Gehäuseoberseite sieht nach wie vor makellos aus.

Stattliche Gehäuseabmessungen sind zudem dem Klangvolumen zuträglich. Röhrenradios funktionieren nach dem Prinzip der offenen Schallwand. Es ist also kein hermetisch dicht geschlossenes Gehäuse, wie man es von Stereoanlagen her kennt. Das Radiogehäuse ist im Prinzip eine nach hinten offene Holzkiste. Wie bei derartigen Geräten üblich, ist die Rückwand aus einer perforierten, dünnen Holzfaserpappe gefertigt. In erster Linie stellt sie einen Berührungsschutz vor den stromführenden Bauteilen dar. Was die reine Funktion angeht, könnte man auf die Rückwand problemlos verzichten.

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Zweiteiliger Drehknopf für die Senderwahl. UKW wird vorne über den großen Knopf eingestellt, Mittelwelle, Langwelle und Kurzwelle über das schmale Rad

Auf der Rückwand unseres Parsifal klebt immer noch das alte Preisschild. Stolze 365 Mark hat der Nordmende anno 1966, im Jahr der legendären Fußball-Weltmeisterschaft in England, gekostet. Zu jener Zeit entsprach das in etwa dem halben Monatseinkommen eines Facharbeiters, womit aus heutiger Sicht die Wertigkeit des Gerätes in der Gegend von um die 1500 Euro einzuordnen wäre. Trotz Papprückwand.

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Im Schein der Röhren. Die Packungsdichte im Gerät ist enorm. Besonders die Drucktastenmechanik im unteren Teil des Chassis hat es in sich

In grandioser Servicefreundlichkeit ist diese Rückwand blitzschnell entfernt. Was dahinter zum Vorschein kommt, ließe sich nach heutigen Fertigungsmaßstäben nie und nimmer für 1500 Euro realisieren. Das ganze Gerät ist zum Großteil in Freihandverdrahtung aufgebaut, und das ist gleichzusetzen mit Handarbeit. Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, weshalb dieser Apparat fast 50 Jahre nach seiner Fertigung noch immer funktioniert. Er befindet sich nach wie vor im Auslieferungszustand, nichts wurde repariert oder erneuert. Einzig in der Kontaktsicherheit einiger Komponenten, etwa beim so gut wie nie betätigten Balance-Potentiometer oder den Drucktasten für die Programmwahl, zeigt sich der Zahn der Zeit. Dort kommt es duch Oxidation bisweilen zu Aussetzern oder hörbar hohe Übergangswiderstände. Rasches Hin- und Herdrehen des Potentiometers bringt die Kanalgleichheit dann ebenso wieder auf Trab, wie mehrmaliges Betätigen eines Schalters. So ein Gerät schätzt es, wenn es in Bewegung, sprich in Betrieb bleibt.

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Anschlussmöglichkeiten für Zusatzgeräte, etwa CD- oder MP3-Player und extrene Lautsprecher. Damit ist man röhrentechnisch durchaus „modern“ aufgestellt

Acht Röhren stecken im Parsifal. Das magische Auge, es signalisiert die Feldstärke des Senders und das Stereosignal, bereitet eine EMM 803-Röhre auf. Im Empfangsteil stecken eine ECC 85-Doppeltriode und die üblichen ECH 81- und EAF 801-Rundfunkröhren. Der Stereo-Dekoder wird mittels ECC81 betrieben. In der Verstärkerstufe finden sich eine rauscharme und inzwischen bei Kennern höchst begehrte ECC 808 aus Telefunken-Fertigung sowie zwei ELL 80 in der Endstufe. Viel elektrische Power wird mit dieser Konfiguration nicht freigesetzt, rund zweimal drei Watt haut diese Endstufe in Richtung der beiden ovalen Breitband-Lautsprecher hinaus. Erstaunlich, was mit dieser vergleichsweise bescheidenen Power an Klangqualität möglich ist. Der Parsifal braucht sich neben einer üblichen 08/15-Stereo-Anlage überhaupt nicht zu verstecken. Wenn man den Sender mit voller Feldstärke im Kasten hat, dann drückt dieses Radio auch einem durchschnittlichen Wohnzimmer vehemente Partylautstärke zwischen die Tapeten. Das Geheimnis heißt in diesem Fall „Wirkungsgrad“. Die beiden Lautsprecher wandeln die elektrische Energie also bestmöglich in Schallenergie um. Das bringt ein anspringendes, dynamisches Klangbild.

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Sender-Abstimmung mit dem „magischen Auge“. Je weiter sich die beiden Balken überlappen, desto besser der Empfang

Besonders eindrucksvoll gerät unser Freund Parsifal aber im Nahbereich. Am besten mit einer Lifeübertragung auf einem der wenigen Kultursender, die das ansonsten traurige Happy-Flachgeist-Radio heutzutage noch zu bieten hat. In einem Meter Hörabstand eröffnet der Druck auf die Stereotaste auch heute noch dieses akustische Urerlebnis, dass seit jeher auf viele Audiophile prägend wie richtungweisend war. In dieser Hinsicht ist das Parsifal mehr highend, als sämtliche Edel-Stereoanlagen zusammen. Sie sind eingeladen. Probieren Sie es aus. Bislang ist dieses Gerät von der Sammlerszene noch recht unentdeckt geblieben. Wohl auch wegen des nüchternen Skandinavien-Designs. Und zum Schluss noch die allerbeste Nachricht: Auch wenn irgendwann digitales Radio zum Standard wird, können sie Ihren Parisfal noch weiter befeuern. Er bietet Eingänge für zusätzliche Geräte. Und eines davon darf ruhig ein digitales Radio-Empfangsteil sein. Schön, dass die damals schon so zukunftstaugliche Geräte gebaut haben.
Nordmende – Ein Name ist Programm

Otto Hermann Mende gründete 1923 in Dresden die Radio H. Mende und Compagnie. In den Folgejahren entwickelte sich Mende zu einem der großen Anbieter für Rundfunkgeräte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Werk demontiert. Die Familie Mende setzte sich in den Westen ab und führte den Namen „Nordmende“ ein. Martin Mende, der Sohn des Gründers, baute unter dem Namen „Norddeutsche Mende-Rundfunk GmbH“ ab 1947 in Bremen eine neue Firma auf. Mende war in den ehemaligen Werkhallen der Focke-Wulff-Flugzeugwerke in der Dietrich-Wilkens-Straße ansässig. Rasch entwickelte sich die Firma in der Nachkriegszeit zu einem führenden Anbieter von Radiogeräten, Fernsehern, Tonbandgeräten und Plattenspielern. Nordmende-Geräte waren bald für ihren hohen Qualitätsstandard berühmt. In den siebziger Jahren spezialisierte man sich auf die neuen Farbfernsehgeräte, wobei man großen Wert auf modularen Aufbau und ein ausgefeiltes Lautsprechersystem, etwa mit zusätzlichen Basstreibern, legte. Bereits 1977 stieg der französische Thomson-Brandt-Konzern bei Nordmende ein. In der Folge wurden Prozesse vereinfacht, Kosten reduziert und Personal abgebaut. Später zählten zur Thomson-Gruppe auch noch die Marken SABA und Telefunken. Durch internationalen Konkurrenzdruck schrumpften die Renditen, die wirtschaftliche Lage spitzte sich zu. 1987 übernahmen die Geschäftsführer das Bremer Werk. Dank Fördergeldern wurde die Produktion mit Zulieferaufträgen unter dem Namen „Europart“ zunächst weitergeführt. Die endgültige Pleite zeichnete sich jedoch bereits ab. Seit einigen Jahren treten die Handelsmarken „Nordmende“, „SABA“ und „Telefunken“ im internationalen Branding wieder in Erscheinung. Mit klassischem Marken-Engineering und Made in Germany hat das alles freilich nichts mehr zu tun.

 

Vorsicht, Spannung – Röhrenradio wiederbelebt

Ob vom Flohmarkt, vom Dachboden oder als Erbstück: das alte Radio sollte nicht sofort ans Netz angeschlossen und auf Funktion überprüft werden. Ausgenommen von dieser Regel sind nur Geräte, die nachgewiesenermaßen noch bis vor kurzem in Betrieb waren. Alle „Standgeräte“ (länger als ein Jahr) gründlich inspizieren. Zunächst die Rückwand entfernen und den Staub der Jahrzehnte behutsam mit Sauger und weichem Pinsel entfernen. Röhren vorsichtig abziehen, zuvor Röhrenplan anfertigen, sofern keiner auf der Rückwand aufgedruckt ist. Röhren nur trocken und nicht mit Flüssigkeit reinigen, die Beschriftung löst sich sonst ab. Röhren visuell kontrollieren. Stimmen die Bezeichnungen mit dem Bestückungsplan überein? Großflächige russartige Brandflecken im Glas sind Indiz für Verschleiß oder Defekt. Anschlusspins der Röhren mit 1000er Schleifpapier sorgfältig metallisch blank machen. Gerätesicherung auf Durchgang kontrollieren und Sicherungskontakte reinigen. Schalterkontakte mit Kontaktspray benetzen und mehrmals durchschalten. Prüfen, ob der Spannungswert am Netzteil auf 220 oder 240 Volt steht. Höchsten Wert wählen. Schwachpunkt aller Röhren-Oldies sind die Netzteil-Kondensatoren. Werden sie nach langer Standpause gleich voll belastet, gehen sie gerne kaputt. Ein laut brummendes Radio krankt fast immer an einem defekten Netzteil-Elko. Deshalb das Radio schrittweise mit steigenden Spannungswerten belasten, damit sich die alten Elkos neu formieren können. Ideal ist hierzu ein regelbarer Trenntrafo. Mit maximal 100 Volt Eingangs-Wechselspannung beginnen und jede Stunde um 30 Volt steigern. An den Anschlüssen des Elkos kann die anliegende Spannung gemessen werden. Das Formieren dauert, also Zeit lassen. Wenn soweit alles in Ordnung ist und das Gerät auch sonst keine Auffälligkeiten zeigt, können die Röhren wieder eingestöpselt werden.
Jetzt wird sich zeigen, ob noch Leben in der Bude ist.
Warnhinweis: Röhrenradios arbeiten mit hoher Spannung. Die Betriebsspannungen liegen zumeist um die 300 Volt. Anschlüsse am Netzteil liegen offen. Auch wenn der Netzstecker gezogen ist, können am Netzteilkondensator noch lange hohe Spannungswerte anliegen. Deshalb vor dem Arbeiten am Gerät Spannung am Kondensator messen. Gegebenenfalls Kondensator mit Widerstand (1000 Ohm, 5 Watt) entladen.

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Strenge Linie. Passend zum damals trendigen Möbeldesign im skandinavischen Stil, aber für die breite Masse noch nicht zu gewagt

 

DATEN: Nordmende Parsifal

Preis: Neupreis 1966  365 Mark. Marktpreis heute bei makellosem Erhaltungszustand und einwandfreier Funktion circa 250 Euro. Baustellen ab 30 Euro
Bautyp: Stereo Röhren-Radio. Superhet. Vier Wellenbereiche. UKW, Kurzwelle, Mittelwelle und Langwelle.
Eingänge: Für Tonband oder über extra Vorverstärker für Plattenspieler
Röhrenbestückung: Acht Röhren, EMM 803, ECC 85, ECH 81, EAF 801, ECC 81, ECC 808 und zwei Endröhren ELL 80
Gehäuse: Sperrholzgehäuse mit Echtholzfurnier in Nussbaum. Zwei eingebaute Oval-Lautsprecher.
Netzteil: Anschluss für 110 und 220 Volt
Maße: 610x355x240 Millimeter (BxHxT)
Gewicht: 10,8 kg

Text und Fotos: Jo Soppa

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4 Kommentare

  • Christian Kneissl says:

    Ich höre gerne Musik aus dem 50ern und 60ern und denke mir immer wie toll muss sich das wohl aus einem Röhrengerät der damaligen Zeit anhören. So bin ich auf die Idee gekommen mir ein Röhrenradio zuzulegen. Vom Design her hatte ich aber bisher immer ein Problem. Mir gefallen einfach die wenigsten Geräte, vorallem würden sie niemals mit meinem doch eher modern eingerichtetem Wohnzimmer harmonieren.
    Zufällig stieß ich auf das Nordmende Parsifal 6/675 und war sofort begeistert. Endlich ein altes Röhrengerät voll nach meinem Geschmack. Seit dem bin ich auf der Suche und werde nicht aufgeben bis ich endlich eines im Wohnzimmer stehen habe.

    • Bernd Stickdorn says:

      Ich kann dieser Verliebtheit nur zustimmen,
      besitze ich doch selbst ein Nordmende Parsifal 6/675 aus 1965. Ja ich bin begeistert von der Haltbarkeit und Schönheit dieses Radios. Bei meinem Gerät habe ich nur einen Elko und zwei Kondensatoren auf dem Ausgangsüberträger tauschen müssen, alles andere wurde im Original belassen. Wenn man mal bedenkt das dieses Radio mittlerweile 55 Jahre auf dem Buckel hat und immer noch einwandfrei funktioniert, ist das schon sehr erstaunlich. Und der Sound ist für 2×3 Watt Ausgangsleistung schon echt beachtlich. Aber das ist noch nicht alles, dieses Gerät vereint Deutsche Wertarbeit, die es so wohl nie wieder geben wird und ich bin mir sicher dass mein Parsifal noch viele Jahre wunderbaren warmen Röhrensound wieder geben wird. Ganz ehrlich ich bin froh das es noch so viele Liebhaber alter Röhrenradios da draußen gibt, aber besonders freut es mich natürlich für das Nordmende Parsifal 6/675 das leider immer seltener in Erscheinung tritt.

  • Julian Meyer says:

    Die meisten Radios der 50er Jahre waren in allerbesten Gelsenkirchener Barock gestaltet.
    Dennoch gab es Ausnahmen, die Firma Braun baute schon ab Mitte der 50er Jahre Radiogeräte und Tonmöbel in sachlich skandinavischen Design nach Entwürfen von Hans Gugelot und Herbert Hirche der hfg – Ulmer Hochschule für Gestaltung. Diese damals unübliche knallharte Moderne fand schnell ihre Fans, so wurde z.B. Musterwohnungen der Interbau 57 in Berlin mit diesen modernen Geräten ausgestattet. Kurze Zeit später brachten auch Grundig (3066) und Philips den Braun geräten Ähnliche auf den Markt. In den 60ern hat sich der moderne Stil bei allen Herstellern durchgesetzt.
    VG Julian Meyer

  • Karsten Springmann says:

    Es war genau der obenstehende Bericht, der mein volles Interesse an so einem Gerät geweckt hat. Ich wußte gar nicht, daß es so ein Röhrenradio jenseits des sogenannten „Gelsenkirchner Barocks“ im schlichten nordischen Design überhaupt gab.
    Über e-bay Kleinanzeigen konnte ich tatsächlich ein Parsifal-Exemplar finden und habe es bei einem – aus meiner Sicht – super engagierten Spezialisten (https://radio-restoration.de/) aufarbeiten lassen. Ein junger Mann, der sich für „alte Technik und deren Erhalt“ gaaaanz tief in die Materie eingearbeitet hat. Was soll ich sagen: Das Ergebnis ist einfach toll!!!
    Alles funktioniert, wie es soll. Der schöne, „warme“ Sound erinnert mich so sehr an meine Jugend… mehr oder weniger eine Art „Zeitreise“. Ohne Klassik-Lust wäre ich nie auf diese Idee gekommen. Allein die Suche und Umsetzung dieses kleinen Projektes waren spannend und interressant. Danke an Herrn Soppa.
    VG Karsten Springmann

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